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Friday, November 30, 2018

Macris Wahlsiege bei den Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren sorgte in Argentinien und im Ausland für Hoffnung: Der studierte Ingenieur machte sich sofort daran, das von seinen Vorgängern Néstor Kirchner und seiner Frau Cristina Fernández Kirchner heruntergewirtschaftete Land zu sanieren. Die beiden Peronisten hatten Argentinien in ihren beiden zwölf Jahre dauernden Amtszeiten vom internationalen Kapitalmarkt isoliert, die Unternehmen mit allerlei exotischen Regeln wie Kapital-, Devisen- und Exportkontrollen überfrachtet und mit großzügigen Ausgabenprogrammen gewaltige Staatsschulden aufgehäuft.

WIRTSCHAFT

G-20-Gastgeber am Abgrund

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Wirtschaftsredakteur
Argentiniens Präsident Macri wollte das von Populisten abgewirtschaftete Land sanieren. Doch die Krise kam ihm dazwischen
Argentinien ist stolz darauf, das erste südamerikanische Land zu sein, das einen G-20-Gipfel ausrichtet“, schreibt Mauricio Macri der Präsident des Landes in einem Willkommensgruß an die Teilnehmer des Gipfels. Wenn er heute Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Präsident Jean-Claude Juncker und anderen Gipfelteilnehmern die Hände schüttelt, wird er sie staatsmännisch willkommen heißen. Er und seine Amtskollegen werden über internationale Zusammenarbeit reden und über wirtschaftliche Stabilität. Aber wenn der Gipfel beendet ist und das letzte Regierungsflugzeug abgehoben hat, geht für den vom Amt bereits körperlich gezeichneten Macri der eigentliche Kampf weiter: Gegen den wirtschaftlichen Verfall des Landes – und gegen den Kirchner-Clan.
Macris Wahlsiege bei den Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren sorgte in Argentinien und im Ausland für Hoffnung: Der studierte Ingenieur machte sich sofort daran, das von seinen Vorgängern Néstor Kirchner und seiner Frau Cristina Fernández Kirchner heruntergewirtschaftete Land zu sanieren. Die beiden Peronisten hatten Argentinien in ihren beiden zwölf Jahre dauernden Amtszeiten vom internationalen Kapitalmarkt isoliert, die Unternehmen mit allerlei exotischen Regeln wie Kapital-, Devisen- und Exportkontrollen überfrachtet und mit großzügigen Ausgabenprogrammen gewaltige Staatsschulden aufgehäuft.
Macri setzte schon zu Beginn seiner Amtszeit Reformen durch, um das heruntergewirtschaftete Land zu sanieren: Die verzerrenden Restriktionen und Kontrollen wurden aufgehoben, Exportbeschränkungen aufgehoben und freier Kapitalverkehr zugelassen. Zudem einigte er sich mit Investoren, die den Verlust ihrer Investments nach dem Staatsbankrott von 2001 nicht akzeptieren wollten und erreicht hatten, dass US-Gerichte den Zugang Argentiniens zum internationalen Kapitalmarkt blockierten.
Der Präsident verbesserte zudem die Rahmenbedingungen vor allem für kleine Firmen: Die Regierung führte beispielsweise neue digitale Verwaltungsvorgänge ein, vereinfachte viele Vorschriften oder schaffte sie gleich ganz ab, schuf eine neue Unternehmensform, um die Gründung kleiner Aktiengesellschaften möglich zu machen – und lockerte sogar das Quasi-Monopol von Aerolinas Argentinas, um erstmals Billigflieger zuzulassen. Trotzdem hat sich die Volkswirtschaft des Landes bis heute nicht erholt: Die Inflation lag zuletzt bei gewaltigen 46 Prozent, die einheimische Währung Peso hat seit Dezember gegenüber dem Dollar rund die Hälfte an Wert verloren, die Kreditzinsen liegen bei 60 Prozent und überall im Land schließen Fabriken. Allein im vergangenen Jahr sind in Argentinien 30.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Ein Grund für die gegenwärtige Krise ist aus Sicht vieler Ökonomen, dass Macri in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit die Staatsfinanzen aus politischen Erwägungen reformiert hat. Das hohe Defizit, das er von der Vorgängerin geerbt hatte, blieb bestehen und dürfte zu der aktuellen Verschärfung der Krise geführt haben. „Macri wollte ein unpopuläres hartes Sparprogramm vermeiden und hat sich für eher graduelle Maßnahmen entschieden, um das Land wieder auf die richtige Spur zu bringen“, sagt der US-Politologe Peter Schechter. „Gleichzeitig hat er gewaltige Auslandsschulden gemacht.“ Es wäre möglicherweise besser gewesen, früher zu sparen, sagt der Gründer des Südamerika-Zentrums des renommierten Atlantic Council.
Externe Faktoren, auf die Macri keinen Einfluss hatte, haben die Situation in Argentinien zusätzlich verschärft: Die steigenden Zinsen in den USA haben US-Investments attraktiver für Investoren gemacht und dafür gesorgt, dass sie Geld aus Schwellenländern abgezogen haben. Zudem hat eine starke Dürre der Landwirtschaft, der wichtigsten Exportbranche des Landes, zugesetzt. So verheerend war die Situation, dass Macri beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um ein 57 Milliarden Dollar schweres Rettungspaket bitten musste – das bisher größte in der Geschichte des Währungsfonds.
Die Bevölkerung verliert in dieser Situation das Vertrauen in Macri: „Die Anhänger der Regierung Macri, die sehr hohe Erwartungen in seine Politik gesetzt hatten, sind resigniert und einfach ratlos“, sagt Carl Moses, der für die Deutsche Außenhandelsförderung GTAI in Buenos Aires arbeitet. „In breiten Teilen der Mittelschicht herrscht vor allem Frust.“
Sehr viel dramatischer ist die Lage für die ärmere Bevölkerung, die besonders stark unter der hohen Inflation leidet. Ausgerechnet bei Lebensmitteln steigen die Preise noch schneller; zuletzt um 55 Prozent pro Jahr. Zwar hat die Regierung trotz der Sparmaßnahmen die Sozialausgabe nicht angetastet, aber die Inflation frisst die Löhne und staatlichen Unterstützungszahlen so schnell auf, dass die Realeinkommen der Menschen seit Jahresanfang um mehr als zehn Prozent gesunken sind. „Viele Menschen können sich selbst einfache Dinge des Grundbedarfs und Lebensmittel nur noch eingeschränkt kaufen“, berichtet Moses.
Bei den auf diese Weise am stärksten Betroffenen mache die ehemalige Staatspräsidentin Christina Kirchner enorm Boden gut, sagt Moses. „Das sind Menschen, die immer am Rande der Armut leben, wenn nicht gar am Rande des Existenzminimums“, beschreibt Moses die potenzielle Wählerschaft der Peronistin. „Sie sind von der Inflation so hart getroffen, dass sie sich von Kirchner eine Verbesserung ihrer Situation erhoffen. Denen ist völlig egal, ob Argentinien sich der Weltwirtschaft öffnet oder nicht.“
Bis vor einem halben Jahr hielten es politische Beobachter für völlig unmöglich, dass Kirchner in den Präsidentenpalast zurückkehren könnte. In den letzten Umfragen hat sie allerdings kontinuierlich gewonnen. Und jetzt kursiert in der argentinischen Presse gar eine geleakte Umfrage, die im Auftrag der Regierung angefertigt wurde, seitdem aber angeblich unter Verschluss gehalten wird: Demnach liegt Kirchner im direkten Vergleich mit Macri in der Wählergunst vorn.

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